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Felden­krais

Feldenkrais schult Selbst­beobachtung

Zwei der wichtigsten Bücher vom Moshé Feldenkrais handeln vom Weg zu einem reifen oder starken Selbst. Damit ist klar, hier geht es um so etwas wie Persönlichkeitsentwicklung. Eine Schulung der Selbstbeobachtung ist dabei das für mich entscheidende Stichwort. Sie ist nicht nur grundlegend für die Feldenkrais-Methode, sondern fördert außerdem die Achtsamkeit. Feldenkrais schult auf spielerischem Weg, die eigenen Bewegungen und den eigenen Körper klarer und bewusster wahrzunehmen. Das hilft auch beim Hatha-Yoga. Was bei Feldenkrais auf körperlicher Ebene vorbereitet wird, ist die grundsätzliche Fähigkeit zur Selbstbeobachtung. Darauf lässt sich aufbauen, wenn man auch seine „geistigen Bewegungen“ beobachten möchte. Das erleichtert dann den Einstieg in die Praxis der Achtsamkeitsmeditation.

Aber natürlich ist die Feldenkrais-Methode vor allem auch eine großartige Bewegungstechnik und ein geniales Mittel, seine Bewegungen von überflüssiger Anspannung zu befreien und zu mehr Leichtigkeit zu verhelfen.

 

Ist Feldenkrais eine seltsame Gymnastik?

Bei der Feldenkrais-Methode handelt es sich auf den ersten Blick um eine etwas seltsame Form der Gymnastik. Die Teilnehmer liegen in der Regel am Boden und bewegen sich nach den verbalen Anweisungen einer Lehrerin oder eines Lehrers, freilich ohne, dass diese etwas vormachen. Die Bewegungen werden meist sehr langsam, ohne jegliche Anstrengung und damit auch ohne das Ziel der Dehnung ausgeführt. Stattdessen suchen die sich so Bewegenden nach kleinen Veränderungen in den wiederholt ausgeführten, oftmals nur winzigen Bewegungen. Dieses Vorgehen ist physiologisch sehr sinnvoll, denn Veränderungen lassen sich um so deutlicher wahrnehmen, je kleiner und langsamer sie ausgeführt werden. Aber es dauert einige Zeit, um den Zugang zu diesem ungewohnten Vorgehen zu finden!

Feldenkrais schult Selbstbeobachtung mit Martin Woznica - einfach vom Liegen zum Sitzen 1

Wo uns Feldenkrais herausfordert

Bei Feldenkrais dreht sich alles um das Finden und Entwickeln neuer Bewegungsmuster, die dann die alten ersetzen. Dazu gehört freilich, dass man entdeckt, was einem bisher noch nie aufgefallen ist: eine Anspannung im Rücken, ein eigentlich unnötiges Anheben der Schultern oder eine nach vorne gebeugte, Anstrengung erzeugende Körperhaltung.

Das klingt verrückt: warum sollte einem das bisher nicht aufgefallen sein? Ganz einfach, weil wir uns daran gewöhnt haben. Und die meisten Menschen bemerken diese Art überflüssiger Anstrengung ihr Leben lang nicht. Beim Feldenkrais fällt es uns dann auf. Und es ist für alle ein Schock! Nicht nur, weil man nicht versteht, warum einem das bisher nicht aufgefallen ist. Viel mehr, weil das bloße Erkennen die Sache nicht aus der Welt schafft! Neue, alternative Bewegungsmuster zu entwickeln braucht seine Zeit. Das ist oft der Punkt, an dem viele Menschen aussteigen, besonders die sehr ehrgeizigen, an schnellen Erfolgen interessierten.

Aus diesem Grund versteht sich Feldenkrais auch als eine Lernmethode, nicht als ein Training oder eine Entspannungstechnik!

Verbesserte Bewusstheit durch Bewegung

Schon wegen seiner ganz anderen Strategie lehnt die Feldenkrais-Methode jeden Vergleich mit Gymnastik oder einem anderen Körpertrainings entschieden ab. Denn das Ziel aller Feldenkrais-Aktivitäten ist die Verbesserung der Bewusstheit. Es geht um mehr Bewusstheit für die eigenen Bewegungen, und letztlich auch um eine bewusstere Wahrnehmung an sich, einschließlich die der eigenen Emotionen und Gedanken. Aus einer klareren Wahrnehmung, so der Anspruch der Methode, entsteht ganz von selbst Verbesserung, letztlich also auch die Beseitigung von Beschwerden. Folglich nennt sich die Methode Bewusstheit durch Bewegung. Und diese Bewusstheit soll sich schließlich nicht nur auf den Körper beschränken, sondern das ganze Selbst oder die Persönlichkeit umfassen.

 

Ein verändertes Selbst durch Feldenkrais

Wir finden in der Feldenkrais-Methode aber nicht nur eine feinsinnige und ausgeklügelte Bewegungsarbeit, sondern auch den Anspruch, das Wachstum der Persönlichkeit zu fördern. Moshé Feldenkrais spricht in seinen Büchern von einem reifen oder starken Selbst. Ein solches zeichnet sich durch vollkommene Spontaneität und Bewegungsfreiheit aus, sowohl im körperlichen als auch in geistigen Sinn. Dem gegenüber ist der durchschnittliche Mensch, in den Augen von Feldenkrais, in seiner körperlichen und geistigen Beweglichkeit eingeschränkt. Den Grund sieht Feldenkrais in „parasitären“ Anspannungen und „widersprüchlichen Motivationen“, die hier am Werk sind. Aber was soll man sich darunter vorstellen?

Was bitteschön ist eine monomotivierte Bewegung?

Erstrebenswert ist in den Augen von Feldenkrais eine Bewegung, und letztlich ebenso eine Handlung, die „monomotiviert“ und damit frei von widersprüchlichen Motivationen ist: „… alle Handlungen, die wir gut und mühelos ausführen, sind monomotiviert. Solche, die wir mit erheblicher Anstrengung ausführen, sind mehr oder weniger dominant motiviert. Diejenigen, die uns misslingen oder die wir nicht zustande bringen, haben widersprüchliche Motivationen gleicher Stärke oder sind solche, in denen hemmende Motivation überwiegt“ (Das starke Selbst, Frankfurt a. M., 1992, S. 53).

Monomotiviert als Kennzeichen einer reifen Persönlichkeit

Etwas vereinfacht gesagt, führen wir oft eine Sache aus, denken oder wollen aber gleichzeitig noch etwas Anderes. Diese „widersprüchlichen Motivationen“ (manchmal spricht Feldenkrais auch von „Motive überkreuz“) können unbewusst sein, aus der Erziehung oder früheren Erfahrungen stammen. Dennoch beeinflussen sie mitunter unsere Art zu Gehen oder Stehen. Wenn man dann in der Feldenkrais-Stunde immer aufmerksamer nach der eigenen, wirklich angemessenen Art einer Bewegung sucht, werden früher oder später jene (zusätzlichen) Motivationen deutlich, die die gegenwärtige Absicht behindern.

Martin Woznica: Feldenkrais schult Selbstbeobachtung - vom Liegen zum Sitzen 2

Will man sich beispielsweise „monomotiviert“ vom Boden erheben und aufstehen, dann gibt es nur noch diese eine Absicht bzw. dieses Motiv. Jedes Streben danach, wie die Bewegung irgendwelchen Idealvorstellungen zufolge aussehen sollte, oder nach Ansicht anderen Menschen berücksichtigt werden müsse, all diese zusätzlichen Motive stellen Zwänge dar, die man lernen muss, beiseite zu legen. Oder mit den Worten von Feldenkrais: „… der reife Erwachsene [hat] gelernt …, Gefühle von körperlichen Mustern zu trennen, Zwanghaftigkeit von seinem Verhalten abzutun und seine Gewohnheiten dem gemäß zu bilden, was er für nötig und wünschenswert hält“. Das nennt Feldenkrais spontanes und „potentes“ Handeln (Das starke Selbst, Frankfurt a. M., 1992, S. 53).

Der Weg zur reifen Persönlichkeit ist noch lang

Die Feldenkrais-Methode beginnt also ganz unspektakulär bei scheinbar simplen Körperbewegungen. Doch die dabei früher oder später zutage tretenden, eigenen Einschränkungen zwingen dazu, jene Konzepte zu berücksichtigen, die die ganze Person umfassen. Wo das gelingt, führt die Entwicklung, zu einem im feldenkraisschen Sinn reifen, handlungsfähigeren oder eben „potenteren“ Menschen.

Ein solcher Prozess bedarf einer in jeder Hinsicht klaren Selbstwahrnehmung. Doch die ist keinesfalls im Handumdrehen zu erlangen, sonst würde weder Feldenkrais, noch Yoga oder Buddhismus so viel Aufwand treiben, um herauszufinden was man wirklich tut oder wer man wirklich ist. Ganz abgesehen davon zeigen Forschungsergebnisse aus verschiedenen Bereichen der Psychologie, wie trügerisch unsere Selbstwahrnehmung sein kann. Es ist vor allem die Art des feldenkrais-typischen Vorgehens, die uns erst einmal vermittelt, was eine klarere Selbstwahrnehmung bedeutet und wie man sie entwickelt. Das geschieht bei Feldenkrais vor allem auf körperlicher Ebene, lässt sich dann aber äußerst einfach auf die mentale Ebene und die Meditation übertragen.

Feldenkrais schult Selbstbeobachtung - vom Liegen zum Sitzen 3

Da ich mich besonders für diese Seite von Feldenkrais interessiere, enthalten alle meine CDs, alle von mir aufgenommen Lektionen, Hintergrundgedanken oder Metakommentare, welche dazu beitragen sollen, die Selbstbeobachtung über die rein körperbezogenen Aspekte hinaus auszuweiten. Das erklärt dann auch die auf den ersten Blick etwas seltsam anmutenden Titel.