#5 Mehr Hirn fürS Gedanken-karussell
Ist Ihnen schon einmal der Begriff des Gedankenstroms begegnet? Er geht auf William James zurück, der vor über einhundert Jahren in Worten festzuhalten versuchte, was sich in unserem Geist abspielt, während wir still vor uns hinüberlegen. Es ist ein unablässiger Fluss von Gedanken, Ideen und mentalen Bildern. So jedenfalls sah es William James, einer der Gründerväter der modernen Psychologie.
Es gibt zehn Dinge über unser Gehirn, die jeder wissen sollte. Denn wenn wir besser verstehen, wer wir sind und wie wir funktionieren, können wir unser Leben eher zu unserer Zufriedenheit gestalten. Seinen eigenen Geist verstehen, heißt sich selbst erkennen!
Jedem der zehn Eigenschaften widme ich ein eigenen Beitrag. Sie sind durchnummeriert und beginnen alle mit den Worten Mehr Hirn. Manchen beziehen sich aufeinander, aber nicht alle. Man muss sie nicht unbedingt in der von mir gewählten Reihenfolge lesen, denn wenn ein Beitrag auf einen anderen Bezug nimmt, ist ein entsprechender Link vorhanden. Ein vollständige Liste der zehn Überschriften findest du im Beitrag Mehr Hirn bitte!
Die Mär vom gemächlichen Gedankenstrom
Der Begriff des Gedankenstroms suggeriert das Bild eines gemächlich dahinziehenden Gedankens, der seine Richtung nur sehr langsam ändert. Der Fluss – also der Gedanke – bleibt selbstverständlich immer derselbe, und wir bestimmen eventuelle Richtungsänderungen. Zugegeben, uns selbst erscheint es so. Aber dieses Bild ist wohl eher das Resultat unseres Konfabulierens! (> Konfabulieren wird im Beitrag 10 thematisiert werden)
Geburt eines Gedanken und Wellen im Teich
Wie wäre es dagegen mit folgendem Bild: Stellen Sie sich einen großen Teich vor. Immer wieder taucht ein Fisch kurz an der Oberfläche auf, wodurch jedes Mal eine kleine kreisförmige Welle entsteht. Große Fische erzeugen größere Wellen, kleine kleinere. Jede Welle breitet sich aus, vereint sich mit anderen, nimmt dabei möglicherweise kurzzeitig an Stärke zu, bis sie sich verläuft. Hin und wieder fällt noch ein Ast in den Teich, oder jemand wirft einen Stein hinein. Auch dadurch entstehen Wellen, die sich mit den bereits vorhandenen vereinen.
Kurzum, an der Oberfläche Ihres Teiches können Sie immer neue, ineinander übergehende Wellenformationen beobachten. Ganz ähnlich ist es in Ihrem Kopf und natürlich in unser aller Köpfen. Gedanken entstehen und verändern sich prinzipiell genauso, wie die Wellen in einem Teich. Die Welle, die gerade die Oberfläche dominiert, ist unser aktueller Gedanke. Und so, wie die Welle im Teich weiterläuft, sich verändert, in andere übergeht oder verschwindet, so verhält es sich auch mit unseren Gedanken.
Der Vergleich unseres Gedankenflusses mit Wellen, ist mehr als nur eine Metapher! Denn die Neuronen in unserem Kopf besitzen eine rhythmische Aktivität, die sich in kollektiven Schwingungen, also Wellen niederschlägt. In den letzten Jahren hat man begonnen immer besser zu verstehen, wie diese rhythmischen Aktivitäten unser Denken hervorbringt.
Blick auf den eigenen Geist
Was für ein nichtendendes Auf und Ab in unserem geistigen Teich! Doch von dem Wenigsten bekommen wir etwas mit. Was unter der Oberfläche passiert, bleibt uns verborgen, obwohl sich auch hier die Wellen fortsetzen. Jede neue Erfahrung, jeder Eindruck wird in vorhandene Wellenmuster aufgenommen und eingewoben. Nichts geht verloren – das ist unser „Karma“. Zusätzlich zu diesem fortlaufenden inneren Einsortieren, kommen Dinge von außen hinzu, z.B. ein ins Wasser geworfener Stein. Er steht für Signale aus der Umgebung, auf die unser Geist reagiert – freilich immer unter Einbeziehung der aktuellen inneren Wellenmuster.
Wildes Kreisen statt gemächliches Dahinfließen
Dass wir von diesem Auf und Ab meist nichts mitbekommen, geht auf das Konto des Konfabulierens. In bestimmten Momenten wird es jedoch deutlich, z.B. in der Meditation. Wer das erste Mal ganz unverhohlen seinen Blick auf den eigenen Gedankenstrom richtet, ist entsetzt. Denn das, was sich da zeigt, ähnelt mehr einem wirbelnden Jahrmarktkarussell, denn einem gemächlich dahinziehenden, gleichbleibenden Strom! Wer etwas anderes erwartet, verkennt die Natur des Geistes oder überfordert sich selbst.
Aber es liegt in unserer Hand, wie das Gedankenkarussell rotiert. 0b es im Sekundentakt wirbelt oder eher gemächlich seine Runden zieht, das lässt sich beeinflussen. Ebenso, ob das Karussell ständig neue Motive in den Vordergrund dreht oder ob es immer wieder zum selben zurückkehrt. Ist letzteres der Fall, entsteht der Eindruck eines gemächlichen Gedankenstroms.
Mit dem Verlangsamen oder Beruhigen des Gedankenstroms lässt sich eine weitere, interessante Sache beobachten. Man kommt alltäglich in die Lage, einen kurzen Moment lang nach dem jeweils vorausgegangenen Gedanken zurückzublicken. Hat man den Gedanken erkannt, der dem jetzigen vorausging, erfährt man etwas über den Auslöser. Und zu wissen, welche Auslöser zu welcher Art von Gedankenstrom führen, ist ein wertvoller Hinweis um zukünftige Schritte zu planen. Ein Hinweis, der sich übrigens bereits in der buddhistischen Tradition der Geistesschulung findet!
Wer tiefer eintauchen möchte:
Einer, der intensiv erforscht, wie rhythmische Aktivitäten unser Denken hervorbringen, ist Georg Northoff
- Eine aktuelle Zusammenfassung seiner Ideen findet sich in verschiedenen Artikeln
- und seinem Buch The Spontaneous Brain.
- Außerdem schildert Northoff seine Erkenntnisse im Podcast mit Ginger Campbell.
Mit dem Gedankenkarussell ringt jede meditative Praxis, wenn auch in anderen Worten
- Analayo, Der direkte Weg, S. 215: Eine fortgeschrittene Art der meditativen Betrachtung erlaubt das Gewahrsein der Bedingungen, die zum Entstehen eines Hindernisses geführt haben. Sobald sie erkannt sind, können sie dabei helfen, ein entstandenes Hindernis zu beseitigen, und die einem künftigen Entstehen vorbeugen
- Und natürlich ist das Gedankenkarussell auch Thema in „meditationyoga“ !!!!